POEMAdeutschland

Armut und Umwelt in Amazonien

Trauerrede von Prof. Dr. Thomas Mitschein, POEMA, Belém/Brasilien

Stuttgart-Degerloch, Waldfriedhof, 27. Februar 2003

Liebe Heide, liebe Nina, Freundinnen, Freunde und Weggefährten von Willi Hoss, meine Damen und Herren
in der vergangenen Woche ist im Liberal, der größten Tageszeitung in Belém, ein Artikel über Willi Hoss veröffentlicht worden, der die folgende Überschrift trug:

"Morreu o cacique amazônico Willi Hoss na Alemanha."
Frei übersetzt heißt das: "Einer von uns ist in Deutschland gestorben."

Die diesen Worten zugrundeliegende Aussage ist erstaunlich. Sie gibt Anlass zu der Frage: wie kommt es, dass so viele Menschen in Amazonien den Deutschen Willi Hoss als einen der Ihren betrachtet haben? Menschen, wohlgemerkt, die zum großen Teil die leidvolle Erfahrung gemacht haben dass diejenigen, die von außen kommen, sie nur selten als eigenständige Subjekte akzeptieren.

Warum haben diese Menschen Willi Hoss vertraut und sich mit ihm in so ausgeprägter Weise identifiziert? Die Antwort auf diese Frage liegt in Willis Persönlichkeit selbst begründet. Einer Persönlichkeit, die sich meines Erachtens ausgezeichnet hat

  1. durch intellektuelle Redlichkeit und damit durch den Verzicht auf ideologische Scheuklappen,
  2. durch die Fähigkeit zur offenen und produktiven Diskussion auch mit dem politisch Andersdenkenden,
  3. des weiteren durch eine Haltung, die in der Sphäre der Politik Gefahr läuft, unmodisch zu werden, nämlich die Bereitschaft, das Risiko einzugehen, ausgetretene Wege zu verlassen und für neue 0rientierungspunkte den eigenen Kopf hinzuhalten und schließlich
  4. durch eine außergewöhnliche Neugierde den Besonderheiten und den Vielfältigkeiten andersstrukturierten sozialen und kulturellen Zusammenhängen gegenüber, Zusammenhänge, die er nicht aus zweiter Hand, sondern vor Ort als Beteiligter kennen lernen wollte, mit den eigenen Augen und vor allem mit einem offenen Herzen.

Heart to heart comunication, das ist eine seiner Spezialitäten gewesen. Dass interkulturelle Kommunikation nur dann erfolgreich sein kann, wenn alle Beteiligten bereit sind, in den Dialog neben dem Verstand auch einen Teil der eigenen Seele einfließen zu lassen, das hat Willi gewusst und praktiziert. Aus sich heraus. Er brauchte dazu kein akademisches Pro-Seminar in Völkerkunde.

Das Schicksal wollte es, dass Willi Hoss den Weg nach Amazonien erst im Herbst seines Lebens gefunden hat. Wegmarken sind in diesem Zusammenhang zwei Reisen als Bundestagsabgeordneter der Grünen in den achtziger Jahren, danach eine Kurzzeitdozentur an der Bundesuniversität von Pará über den Zusammenbruch des realen Sozialismus und schließlich ab 1992 POEMA, das Programm Armut und Umwelt in Amazonien der Bundesuniversität von Pará, über das er sich in der amazonensischen Gesellschaft definitiv verwurzelt hat.

Die Botschaft von POEMA ist einfach und einleuchtend. Sie lautet: Wir werden die Regenwälder Amazoniens nicht retten, wenn es uns nicht gelingt, die Lebensbedingungen der Menschen vor Ort nachhaltig zu verbessern. Willi Hoss hat diese Botschaft mit Begeisterung vertreten. Zunächst seinem ehemaligen Arbeitgeber gegenüber. Die langjährige und extrem produktive Kooperation zwischen der Daimler Chrysler AG und POEMA wäre ohne seine Vermittlung schwerlich zustande gekommen.

Des weiteren einer Vielzahl von öffentlichen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen gegenüber, die sich in der Bundesrepublik für Amazonien interessieren und engagieren. Willi hat damit einen wesentlichen Beitrag zum Süd-Nord-Dialog geleistet. Warum Süd-Nord und nicht Nord-Süd? Aus einem einfachen Grund! Im Fall von POEMA handelt es sich um eine Initiative des Südens, deren Mitarbeiter der Überzeugung sind, dass die Koordinatensysteme von Entwicklung in beiden Hemisphären neu definiert werden müssen und der Süden in diesem Zusammenhang nicht in einer passiven Rolle verbleiben darf. Wie schwierig ein so verstandener Süd-Nord-Dialog in Wirklichkeit ist, hat Willi am eigenen Leib erfahren. Er hat sich davon nicht entmutigen lassen. Im Gegenteil. Er hat seine Anstrengungen in Deutschland verdoppelt, um vor allem in der zivilen Gesellschaft für die Unterstützung nachhaltiger Entwicklungswege in Amazonien zu werben. Die von ihm mobilisierten finanziellen Ressourcen hat er in Projekte für keimfreies Trinkwasser, alternative Energien und Gesundheitsversorgung investiert. Aus eigener Initiative hat er Beziehungen zu den Ureinwohnern Amazoniens aufgebaut. Speziell zu den Kaapor-Indianern, die ihn, im Beisein von Ehefrau Heide und Tochter Nina zum Ehrenhäuptling ernannt haben.

Einige Jahre zuvor ist Willi von der Bundesuniversität von Pará zum Professor honoris causa ernannt worden, und zwar für seine Anstrengungen und Verdienste im Rahmen eines Süd-Nord-Dialogs, der auf neue Formen der Kooperation zwischen öffentlichen Institutionen, privatem Sektor und ziviler Gesellschaft abhebt.

Beide Auszeichnungen sind ein eloquentes Indiz seiner eingangs erwähnten Verwurzelung in den unterschiedlichsten Sektoren der regionalen Gesellschaft.

Gestern Nachmittag ist im Auditorium von POEMA in der Bundesuniversität von Pará eine Veranstaltung zum Gedenken an Willi Hoss durchgeführt worden. Die Teilnehmer dieser Veranstaltung haben ihrer Überzeugung Ausdruck verliehen, dass Willi Hoss in den Aktionen von POEMA weiterleben wird und Anstrengungen zu unternehmen sind, um die Vermittlungsfunktion, welche Willi zwischen Deutschland und Amazonien praktiziert hat, aufrecht zu erhalten. Der Rektor der Bundesuniversität von Pará, Prof. Dr. Alex Pinto Bolonha de Melo hat vorgeschlagen, ein mit dem Namen von Willi Hoss versehenes Zentrum für Kultur und nachhaltige Entwicklung einzurichten, das den Dialog zwischen Amazonien und Deutschland fördern soll. Er wird mit den Institutionen, die in Deutschland mit Willi zusammengearbeitet haben, in Kürze in dieser Angelegenheit Kontakt aufnehmen.

Lieber Willi, Freund und Bruder, am Tag Deines Todes hat ein Brasilianer, der mit Dir im Bereich der Installation von alternativen Energien zusammengearbeitet hat, zu mir folgendes gesagt: Professor, was meinen Sie? Wenn der Willi am Tisch der Mächtigen des Himmelreiches erst einmal Platz genommen hat, wird er doch sicherlich das tun, was er immer getan hat, nämlich sich für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen. Wer weiß, vielleicht gelingt es ihm sogar, denen dort oben klar zu machen, dass sie uns in Amazonien ein bisschen mehr Hilfe zukommen lassen sollen.

Lieber Willi, Du hast uns verlassen. Aber wie Du siehst, sind dadurch die Erwartungen an Dich keineswegs geringer geworden.