POEMAdeutschland

Armut und Umwelt in Amazonien

Reisebericht 2024

Von Johann Graf

Belem, 13. April 2024

Donnerstag kurz vor Mitternacht sind wir nach 20 Stunden Anreise im regnerischen Belem angekommen. Am Freitag war Erholung angesagt und eine erste Erkundung in der Stadt. Wir hätten auch gerne Ana-Paula, die Witwe unseres Freundes und früheren Partners von POEMA, Michael, der im letzten Jahr gestorben ist, getroffen. Aber am Praca Batista Campos, wo Michael gewohnt hat ist sie ausgezogen und keiner kennt die neue Adresse.

Heute waren wir im Armazem do Campo bei den "Landlosen" vom MST. Die Armazem do Campo sind eine Einrichtung des MST in der in ganz Brasilien die Produkte aus den besetzten Ländereien vermarktet werden. Gleichzeitig ist es ein Treffpunkt, finden dort Kulturveranstaltungen, Kurse z. B. zur Alphabetisierung und ähnliches statt. Der hießige Armazem wurde mit Spendengeldern von POEMA aufgebaut. Bei der Einweihung waren über 300 Menschen anwesend. Man kann hier vergleichsweise günstig Lebensmittel kaufen und am Wochenende wird ein Mittagessen angeboten. Heute gab es Feijoada und vegane Moceca zur Auswahl, sehr lecker. Jane, die Chefin vom MST hier in Para ist sehr glücklich, dass es jetzt diese Anlaufstelle gibt. Zum einen bekommen die Kleinbauern aus den besetzten Gebieten hier bessere Preise für ihre Produkte, weil sie nicht mehr an den Zwischenhandel verkaufen müssen. Zum anderen können sie hier Bildungsarbeit machen und sind als soziale Bewegung in der Stadt sichtbar. Wir sprechen auch über unsere weitere Zusammenarbeit. Sie ist daran interessiert, das POEMA vielleicht ein Schulprojekt in einer Besetzung der Landlosen bei Santa Luzia do Para unterstützt.

Dann fahren wir in den Bosque Rodrigo Alves, einen kleinen natur-belassenen Wald mitten in Belem, vielleicht fünf Fußballplätze groß. Dort treffen wir Jose und Itahu, die hier mit Frau und seinem kleinsten Sohn, sowie der 94-jährigen Mutter zu Mittag essen. Itahu hat den von "Rettet den Regenwald" und POEMA finanzierten Kleintransporter aus dem Reservat der Kaapor vorgestern nach Belem zur Reperatur gebracht. Er wurde bei einem Überfall von Goldsuchern quasi fahruntüchtig gemacht. Itahu und einige Kaapor konnten glücklicherweise in den Wald flüchten und kamen mit heiler Haut davon. Wir werden am Dienstag ins Reservat fahren und das "neue" Dorf von Itahu besuchen. Dort fand der Überfall statt und es wurde in diesem Bereich an der Grenze des Reservats eingerichtet, weil hier in in den letzten Monaten immer wieder Holzräuber und Goldsucher eingedrungen sind.

Wir sind gespannt, was uns erwartet. Im Moment kämpfen wir noch mit der Hitze, der hohen Luftfeuchtigkeit, dem Regen und dem Zeitunterschied von fünf Stunden.

18.4. 2024 Muruty Renda

Wir sind gestern im Dorf von Itahu angekommen. Die Reise nach Maranhao hat sich um einen Tag verzögert, weil Paulinho noch einen Termin wahrnehmen musste und wir auf sein Auto angewiesen sind. Der Wagen der Kaapor, den POEMA gemeinsam mit „Rettet den Regenwald“ finanziert hat ist nach einem Überfall von Holzräubern zur Reparatur in der Werkstatt. Itahu hat ihn dieser Tage unter Mühen die über 400 Kilometer nach Belem gefahren, Scheibenwischer taten nicht und die Seitenscheiben sind eingeschlagen, was hier in der Regenzeit natürlich ein großes Problem war. Wir starteten gestern früh mit Itahu, seiner Frau Wainumby und seinem jüngsten Sohn um sieben Uhr. In Novo Olinda, die nächste Stadt in Maranhao zu Ytahus Dorf kauften wir noch Lebensmittel für die nächsten zwei Wochen.

Murutuy Renda ist erst vor fünf Monaten als weiteres Schutzdorf (Area de Protecao) gegründet worden, weil hier immer wieder Holzräuber und Jäger illegal ins Reservat der Kaapor eingedrungen sind. Deshalb können sie sich noch nicht selbst versorgen. Sie haben schon ein Feld angelegt, es gibt einen geschützten Bereich, in dem die Setzlingen gezogen werden. Es gibt einen provisorischen Brunnen. Jetzt in der Regenzeit gibt es genug Wasser, aber im Sommer braucht es einen tieferen Brunnen um ausreichend Trinkwasser zu haben. Der kleine Bach in der Nähe wird dann austrocknen. Wir bereiten unsere Hängematten vor, da es hier schnell dunkel wird. Es gibt zwar bis zur Reservatsgrenze eine Stromleitung, die reicht aber nicht bis hier ins Dorf. Wir essen im Schein einer Lampe, die von einer Solarpanele gespeist wird, Reis, Bohnen und Huhn. Wir sind völlig verschwitzt und waschen uns am Brunnen mehr recht als schlecht. Dann geht es endlich in die Hängematte doch kaum liegen wir, beginnt es heftig zu regnen. Die Hütte ist seitlich nicht geschützt, so dass der heftig Wind den Regen auf unsere Hängematten verteilt. Wir müssen sie mehrmals im Dunklen umhängen, bis wir halbwegs im Trockenen sind. Doch dann können wir endlich die Ruhe und die Geräusche des Regenwaldes genießen.

19.4. 2024 Novo Olinda

Das Aufwachen im Wald ist immer etwas besonderes. Das erste Licht lässt die Umgebung nur erahnen, dann der Geruch der Feuer in den Hütten und die Geräusche der beginnenden Tagesaktivitäten. Nach dem Frühstück gibt es eine kleine Besprechung. Itahu berichtet über die Entscheidung des Conselhos hier ein Dorf zu gründen um die Invasion durch die Weißen zu unterbinden. Drei Familien sind Anfang Dezember hier eingetroffen und haben begonnen den Platz zu roden und die Hütten zu bauen, ein Feld vorzubereiten und den provisorischen Brunnen zu graben. Viel Arbeit und immer die Sorge, dass es zu einem Angriff kommen könnte. Der fand dann auch tatsächlich Ende Januar statt. Um auf das Territorium der Kaapor zu gelangen muss man über einen kleinen Fluss, es gibt dort eine Art Hängebrücke. Bis dahin kann man auf einem schmalen Pfad mit dem Auto fahren. Dort wurde Itahu und einige Kaapor von Weißen angegriffen. Sie flüchteten in den Wald, so dass niemand unmittelbar zu Schaden kam. Dafür wurde der Wagen der Kaapor ein Pickup mit Ladefläche heftig demoliert. Die Reparaturkosten liegen bei über 7.000 €. Seither gab es glücklicherweise keine weitere Übergriffe mehr.

Es bedarf nicht nur Mut hier ein „Wehrdorf“ zu errichten, sondern es ist viel Arbeit und mit erheblichen Einschränkungen verbunden. In ihrem alten Dorf hätten die Familien ein bequemeres Leben weiterführen können. Wir sprechen darüber, was an Hilfe möglich und notwendig ist. Aktuell ist Hilfe bei der Lebensmittelversorgung notwendig, in einem Jahr können sie sich über den Anbau weitestgehend selbst versorgen. Sie brauchen einen richtigen Brunnen, der geborgt werden muss, dazu eine Solarpumpe und ein Modul. Ein großes Problem ist überall der Transport. Es gibt ein Motorrad mit dem gerade alles transportiert wird. Aber auch da sind Ersatzteile und Wartung dringend nötig. Die Frage, ob sich mit der neuen Regierung für sie etwas verändert hat, es gibt schließlich eine indigene Ministerin und die Präsidentin der FUNAI ist auch eine bekannte, aktive Indigene, beantworten sie mit nein. Aber die Chefin der FUNAI hat versprochen im Juni die Kaapor zu besuchen und sie haben Hoffnung, dass es dann mehr Hilfe gibt. Glücklicherweise gibt es gerade keine schlimmeren Erkrankungen und prinzipiell ist die Gesundheitsversorgung gesichert. Aber auch hier ist immer wieder der Transport das Problem. Am Nachmittag verlassen wir das Dorf und sind nach zwei Stunden über holprige Wege in Novo Olinda, wo wir bei zwei Indischen Nonnen, die Paulinho kennt, übernachten.

20.4.2024 Novo Olinda

So schön der Garten und die Räumlichkeiten bei den indischen Schwestern waren, so anstrengend und unruhig war die Nacht wegen der Moskitoplage. Manche Körperpartien sind wie mit einer Nähmaschine bearbeitet. Es gibt ein kleines Frühstück am Busbahnhof, wo wir uns mit Jandiaxi, einem weiteren Mitglied des Conselhos treffen, mit dem wir heute unterwegs sind. Sein Dorf Kyraruy Renda erreichen wir nach etwas mehr als einer Stunde Autofahrt und einem 30-minütigem Fußmarsch. Als wir letztes Jahr hier waren war das Dorf noch in einem ziemlich erbärmlichen Zustand. Auch Kyraruy Renda ist eine „area do protecao“. Vor Gründung des Dorfes sind hier Holzräuber mit Lastwagen eingedrungen, sie hatten sogar ein Brücke über den kleinen Fluss gebaut. Jetzt gibt es auf dem Feld schon Maniok und einiges an Gemüse, allerdings reicht es noch nicht zur Selbstversorgung. Der erste Versuch einen Brunnen zu bohren ist wegen des felsigen Untergrundes gescheitert. Der Zweite, etwas weiter vom Dorf entfernt war erfolgreich. Es fehlt noch eine Caixa, der Behälter für das Wasser, im Moment gibt es nur ein Fass, das aber nicht groß genug ist.

Wie immer in den Dörfern gibt es viele Kinder. Sie müssen für die Schule ins nächste Dorf und bleiben dort für 15 Tage, schlafen dort und werden verköstigt. Dann sind zwei Wochen Pause bevor der nächste Turnus beginnt. Die Ausbildung ist im Prinzip bilingual, also in Portugiesisch und in Kaapor. Allerdings gibt es nicht genügend Kaapor Lehrer. Der Sohn von Jandiaxi wird in zwei Jahren den mittleren Schulabschluss erreichen und kann dann als Lehrer für die Jüngsten (5-6 Jährige) beginnen. Um Ältere unterrichten zu können muss er dann noch weitere Kurse besuchen. Er ist bereits 22 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. Daran kann man sehen, dass das Bildungssystem für Indigene immer noch sehr problematisch ist. Im strömenden Regen sind wir noch zu einer weiteren Ansiedlung unterwegs um auch dort Lebensmittel vorbeizubringen. Auch hier müssen wir die letzten zwei Kilometer zu Fuß zurücklegen. Wir treffen niemanden an. Jandiaxi meint, die Bewohner seien beim Jagen oder beim Fischen, sie werden sich bei der Rückkehr über Reis, Bohnen und etwas Gemüse freuen. Die Rückfahrt im Dunkeln und bei Regen ist besonders anstrengend und wir sind froh als wir endlich wieder bei den indischen Nonnen ankommen. Die Nacht wollen wir etwas besser präpariert ohne weitere Moskitoattacken verbringen.

Belem 21.4. 2024

Wir sind früh unterwegs und der Mückenschutz hat tatsächlich etwas geholfen. Es geht zurück nach Belem. Die Straßen sind in einem besseren Zustand als noch vor einem Jahr. Hier ist der Unterschied zur Zeit von Bolsonaro deutlich spürbar. Kurz hinter der Grenze zwischen Maranhao und Para, nach etwa vier Stunden Fahrzeit, besuchen wir noch eine Imkerei-Cooperative, Freunde von Paulinho in Nova Timboteua. Die Imkerei wurde in den neunziger Jahren mit Unterstützung der GTZ aufgebaut, bei der Einweihung war sogar der deutsche Botschafter anwesend. Wir werden sehr freundlich begrüßt und erst mal mit einem reichlichen Mittagessen versorgt. Dann erhalten wir ein Führung mit ausführlichen Informationen über die Imkerei.

Sie arbeiten hier mit italienischen Bienen die keinen Stachel haben und mit afrikanischen Bienen die auch Stechen und sehr nervös sein können. Das erleben wir auch gleich als wir uns einem Bienenstock etwas zu hastig nähern fangen die Bienen an auszuschwärmen. Wir müssen uns in einiger Entfernung in Sicherheit bringen und abwarten bis sie sich wieder beruhigt haben. Es werden hier im Jahr 12 Tonnen Honig produziert. Ein Liter Honig wird für umgerechnet 6 € verkauft. Die Farbe und der Geschmack des Honigs von den italienischen und den afrikanischen Bienen unterscheidet sich. Brunhild kauft in ihrer Begeisterung gleich zwei Liter, während ich schon unser Gepäck mit dem ausgelaufenen Honig in Deutschland befürchte. Dann dürfen wir uns noch ein Stündchen in der Hängematte ausruhen bevor wir wieder im strömenden Regen weiter nach Belem fahren.

Chácara 23.4. 2024

Wir sind gestern in Altamira mit dem Flieger angekommen. Ana von Xingu Vivo hat uns abgeholt. Mit Xingu Vivo verbindet POEMA eine lange Partnerschaft erst im Kampf gegen das Megastaudammprojekt Belo Monte, und als es doch gebaut wurde in der Unterstützung gegen die Auswirkungen dieses massiven Eingriffs in die amazonensische Natur. Xingu Vivo arbeitet mit den Kleinbauern und ehemaligen Fischern, sie organisieren Fortbildungen zu rechtlichen Fragen, aber auch zur Bewältigung ihres Alltags. Das geschieht in kleinen Gruppen mit bis zu zehn Personen, meist zwei oder drei Familien aus einer Ansiedlung. Wenn es mehr Personen sind werden zwei oder mehr Gruppen gebildet. Es geht darum, dass jeder und jede zu Wort kommt und gegenseitiges Vertrauen entstehen kann. In den langen Auseinandersetzungen zu Belo Monte wurden die Menschen vielfach gezielt gegeneinander ausgespielt. Einige erhielten Unterstützung, manche Versprechungen und die Mehrheit erhielt gar nichts.

In der Folge von Belo Monte wurde hier am Xingu eine Kanadische Bergbaufirma, Belo Sun, aktiv, die hier eine riesige Mine zum Goldabbau einrichten will. In der Bolsonarozeit erhielt sie mit Hilfe von Bestechung das entsprechende Land zugesprochen. In der Landesregierung des Bundesstaates Para sitzen immer noch Bolsonaristas und schützen weiter die Aktivitäten von Belo Sun. Vor über einem Jahr wurde ein Teil dieses Landes von 67 Familien besetzt mit dem Ziel Belo Sun zu vertreiben. Wir werden dieses Gebiet morgen besuchen. Uns wurde schon angekündigt, dass es eine anstrengende Reise wird, weil die Straße auch wegen der Regenzeit in einem ruinösen Zustand ist. Heute haben wir an einer dieser Fortbildungen teilgenommen. Sie fand im kleinen Schulungszentrum von Xingu Vivo in Chácara etwa 5 Kilometer außerhalb von Altamira statt.

Die acht TeilnehmeInnen schilderten zu Beginn für uns die vielfältigen Auswirkungen des Staudamms, am drastischsten ist das Verschwinden der Fische. Der Staudamm hat den Weg zu ihren Laichgründen unterbunden. Was in der Folge Arbeitsverlust für die Fischer bedeutete, aber auch Hunger, weil Fisch ein wesentliches Nahrungsmittel war. Weitere Auswirkungen auf Grund des fehlenden Wassers in vielen Gebieten war der Rückgang der Produktion von Früchten und Gemüse. Dazu kommt noch der Klimawandel, der dazu führt, dass die Regenzeit kürzer dauert, also noch mehr Trockenperioden. Sie erzählen, dass sie hier seit Generationen ein gutes und ruhiges Leben hatten, Belo Monte hat das beendet. Der konkret Anlass heute war die Vorbereitung auf Gespräche mit einer vielköpfigen interministeriellen Kommission, die die Konflikte hier lösen soll. Es werden konkret Forderungen aufgestellt, wie eine Kompensation für den Verlust der Fisch, eine Zurücknahme der illegalen Verträge mit Belo Sun, die Anerkennung der besetzten Gebiet, die Anerkennung der indigenen Gebiete und noch einiges mehr.

Sie wollen von der Kommission konkrete Antworten zu diesen Forderungen, sie wurden schon so oft mit nichts abgespeist. Eine längere Diskussion gab es darüber wie diese Forderungen durchgesetzt werden können. Es ist schwierig für sie den notwendigen Druck aufzubauen, aber sie wurden weiter für ihre Rechte kämpfen. In der Pause erzählen sie noch, dass der Strom für sie hier sehr teuer und kaum bezahlbar ist. Verrückt, hier, neben diesem riesigen Staudamm, der billigen Strom für die Industrie und den Export produziert. In der Mittagspause kommt auch Antonia Melo, die Gründerin von Xingu Vivo. Sie hat gesundheitliche Probleme und muss deshalb ihren Einsatz für die Umwelt und die Menschen hier reduzieren. Sie ist froh, dass wir da sind und ihre Arbeit weiter unterstützen. Zum Abschluss heute pflanzen alle noch je einen Setzling für einen Baum hier im Garten von Chácara.

Altamira 25.4. 2024

Gestern mussten wir schon um kurz nach fünf aus den Hängematten. Noch im Dunkeln fuhren wir mit der Fähre über den Xingu. Nach einigen Kilometern auf asphaltierter Straße ging es auf lehmiger Piste weiter immer parallel zum Rio Xingu. Dann bogen wir plötzlich von der Piste ab und standen vor einer baufälligen Hütte deren Dach mit einer Plane geschützt ist. Hier lebt seit zwei Wochen Leyla, eine junge Kajapor-Frau mit Mann und drei Kindern. Davor war sie auch auf dem nahe gelegenen Camp, mit dem seit zwei Jahren das illegal erworbene Land der Minengesellschaften Belo Sun von 67 Familien besetzt ist. Es ist alles noch sehr provisorisch. Die Hütte wurde vom vorigen Besitzer verlassen. Der Mann von Leyla ist gerade dabei einen Tisch zu zimmern.

Wir bekommen Cafe und Ana und Luis von Xingu Vivo, die uns begleiten, lassen einige Lebensmittel und Medikamente hier. Die fünfjährige Taina hat Epilepsie und braucht regelmäßig Medikamente, was schwierig zu organisieren ist. Für uns ist kaum vorstellbar, wie hier der Alltag zu bewältigen ist. Aber Leyla strahlt eine unendliche Lebensfreude aus und lädt uns gleich noch zum Mittagessen auf dem Rückweg ein. Wir fahren weiter und erreichen nach kurzer Zeit das besetzte Gebiet. Es gibt eine etwas größere Hütte, die als Zentrum und Treffpunkt fungiert. In der Nähe befindet sich ein provisorischer Brunnen mit Trinkwasserqualität. Die Bewohner sind über das besetzte Gebiet verteilt und haben Felder angelegt. Sie fordern die Rückgabe des zu Unrecht an Belo Sun verkauften Landes. Jeder Familie steht Land in der Größe etwa eines halben Fußballfeldes zu. Sie wollen jetzt endlich Zusagen haben und erwarten, dass die zuständige Behörde INCRA ihr illegale Entscheidung zu Gunsten von Belo Sun revidiert.

Wir fahren noch ein Stück weiter zu den Gebäuden der Minengesellschaft. Diese sind seit einer Gerichtsentscheidung wegen fehlender Umweltprüfung und Nichtbeteiligung der Xipaia an der Landvergabe, deren Territorium sich auch hier befindet, ungenutzt. Nur der Sicherheitsdienst patrouilliert noch. Allerdings sind hochbetagte Anwälte beauftragt die Interessen von Belo Sun durchzusetzen. Das Ergebnis ist weiter offen. Plötzlich überquert direkt vor uns eine Xipoia, eine Verwandte der Anaconda die Piste. Victoria, eine etwa fünfzigjährige Aktivistin hat uns nach einer kleinen Führung durchs Camp zum Mittagessen, Reis, Bohnen und carne do sol eingeladen. Sie ist eine der Organisatorinnen hier. Leider ist ihr kleines Moped defekt, die Hinterradfelge ist gebrochen. Eine neue ist zu teuer. Sie hofft, das die alte repariert werden kann. Xingu Vivo hat die BesetzerInnen begleitet und mehrere Fortbildungen mit ihnen durchgeführt. Unter Anderem gab es ein Sicherheitstraining, wo es darum ging mit den eigenen Ängsten umzugehen, Wachpläne zu entwickeln und Strategien, wie man sich gemeinsam gegen Übergriffe zur Wehr setzen kann. Auf dem Rückweg erhalten wir tatsächlich das zweite Mittagessen bei Leyla, Huhn mit Reis und Bohnen, und ihre Fröhlichkeit muntert uns erneut auf. Zurück in Altamira machen wir noch ein Abschlussgespräch mit Ana und Louis und bedanken uns für die vielen Informationen und Erfahrungen, die wir hier erhalten haben.

Dann besuchen wir Jonathan Watts, der uns in sein Haus eingeladen hat und kommen in eine völlig andere Welt. Wir sind quasi im „Villenviertel“ von Altamira. Jonathan und seine Frau Eliane Brum eine bekannte Journalistin und Buchautorin betreiben eine Art alternatives Journalismusportal „Sumaúma“(sumauma.com), auf dem sie zu allen möglichen Themen rund um Amazonien Stellung nehmen. Sumaúma ist der Name eines Baumes, bei der die Krone die Form einer Plazenta hat, was Brunhild besonders erfreut. Wir hatten angefragt, ob ein Gespräch möglich ist, und daraus wurde gleich die Einladung in ihr Haus. Der Abend begann dann etwas dramatisch, weil wir erst Jonathans Wunden versorgen mussten, die er sich beim Einsperren seiner Hunde zugezogen hatte. Jetzt wurden wir gerade mit einem exzellenten Frühstück versorgt und freuen uns auf weiter Gespräche über die Arbeit von Sumaúma bevor wir dann heute Nachmittag nach Belem zurückfliegen.

Cameta 28.4. 2024

Am Freitag sind wir mit dem Bus nach Cameta aufgebrochen. Aus Belem heraus sind immer lange Staus, zum Teil wegen vieler Baustellen, aber auch wegen des enormen Verkehrsaufkommens. Es gibt zwar immer mehr Radfahrer, aber ich möchte hier nicht mit dem Rad unterwegs sein, Radfahrer werden bestenfalls geduldet. Nach viereinhalb Stunden erreichen wir den Rio Tocantins und steigen in die Fähre um. Die Überfahrt dauert etwas mehr als eine halbe Stunde. Dann werden wir von Jaime abgeholt. Jaime arbeitet hier für die Diözese und betreut unsere Wiederaufforstungsprojekte in den Dörfern entlang der Straße nach Tucurui. Im Bischofssitz treffen wir Nilma, die Agrotechnikerin, die für die fachliche Begleitung zuständig ist. Sie ist vor einem dreiviertel Jahr Mutter geworden und arbeitet aber manchmal in Begleitung ihres kleinen Sohnes schon wieder.

Wir besprechen den aktuellen Stand der Arbeit in Pau d´Arco, dann gesellt sich der neue Bischof, Dom Ivanildo, zu uns. Er fragt zur Arbeit von POEMA, kritisiert den CO2- Handel, dann verabschiedet er sich wieder und wünscht uns alles Gute für unsere Arbeit. Am Samstag morgen wurden wir dann von Jaime, Nilda und ihrem Söhnchen Julio abgeholt. Nach Pau d´Arco ist es nur etwas mehr wie eine Stunde, dreiviertel des Weges auf schlammiger Piste. Dann biegen wir rechts von der Straße ab und fahren einige hundert Meter in die Landschaft, bis der Wagen nicht mehr weiter kann. Ein weiterer Kilometer zu Fuß und wir sind am Haus von Idegar. In seiner Holzhütte wartet ein Frühstück mit Cafe, Tapioca, Früchten und Maisbrei. Zuerst gibt es eine Vorstellungsrunde, bei der mit viel Gelächter immer nach den deutschen Übersetzungen der brasilianischen Namen gefragt wurde. Dann ging es weiter auf die Fläche hinter der Hütte, wo der Brunnen für die Bewässerung gebohrt werden soll und der „neue“ Wald entstehen wird. Es ist schon vieles vorbereiten, die Fläche ist von Gestrüpp und Kleinholz geräubert, einige Setzlinge wurden auch schon gepflanzt.

Idegar zeigt uns noch stolz seine Fischzucht, Tilapa, die auf zwei kleine Becken verteilt ist. Dann geht es wieder zurück auf die andere Seite der Straße, wo die nächste Familie lebt. Hier ist Jaco, ein 28-jähriger, Vater von zwei Kindern für das Projekt verantwortlich. Auch er hat schon vieles Vorbereitet. Hier ist auch das eingezäunte und überdachte „Mudahaus“, in dem die Setzlinge aus den Samen gezogen werden. Die Mehrzahl der Samen haben sie selber gesammelt. Gepflanzt werden Castanha do Para, Antiroba, Cacao, Pupunha, Cumarue, Ipe und Inga. Dazwischen werden am Anfang Bohnen angepflanzt, die ein guter Dünger sind und die Erde auflockern. Wir besuchen zwei weitere Familien des Projektes, die aber noch nicht ganz so weit sind in der Vorbereitung. Trotzdem wird uns zugesichert, dass die wesentlichen Arbeiten, die Anpflanzung der Setzlinge, das Bohren der Brunnen, die Installation der Bewässerungssysteme in den nächsten drei Monaten stattfinden und beendet werden. Das ist auch notwendig, weil die Regenzeit im Juni zu Ende geht und in der dann beginnenden Trockenperiode die Setzlinge ohne Bewässerung eingehen würden.

Nilma erklärt uns den Ablauf der jetzt notwendigen Arbeiten, sie zeigt und erklärt uns jeden Baum und jede Pflanze. Es ist erstaunlich welche Autorität die junge Frau, die hier geboren ist, bei allen Beteiligten hat. Ihre Art ist aber auch sehr angenehm und sie ist sehr kompetent. An einem schattigen Platz bei der letzten Familie gibt es dann Mittagessen mit Huhn, Reis Farinha de Mandioca, Salat und Bohnen. Zum Abschluss bringen alle noch einmal zum Ausdruck, wie froh sie über diese Unterstützung sind. Wir werden von Idegar, aber auch von seinem Nachbar Francisco eingeladen das nächste Mal bei ihnen zu übernachten und ein paar Tage zu bleiben. Noch bevor wir wieder ins Auto steigen beginnt es zu regnen und wir pflügen durch den Schlamm in Richtung Cameta. Heute geht es wieder zurück nach Belem, wo wir mit Paulinho zu Abend essen. Morgen treffen wir José um mit ihm die Abrechnungen der Gelder für die Kaapor durchzusehen und am Dienstag fliegen wir dann über den Amazonas nach Macapa, wo es dann weiter zu den Wajapi gehen wird.

Macapa 3.5. 2024

Wir konnten uns jetzt zwei Tage hier direkt am Amazonas ausruhen, was gut war, weil ich mit einer Magen-Darmverstimmung zu kämpfen hatte. Wir kommen gerade vom Einkaufen im Supermarkt zurück. Wir werden zwar die ersten Tage im Bildungszentrum der Wajapi sein und dort im Rahmen des Workshops für Wajapifrauen versorgt werden. Danach sind wir aber erst in Kwerkwere und dann in Pairakae, kleinen Dörfern, wo wir sicher auch mit versorgt werden. Aber es ist immer gut Lebensmittel, Reis, Bohnen etc. mitzubringen, das erfreut die Bewohner. Gestern Abend ist Juliana, unsere Organisatorin unserer Partnerorganisation IEPE, eingetroffen. Das Gespräch mit ihr brachte leider wenig Gutes über die Situation im Reservat und im Land überhaupt. Sie sind zwar alle froh, dass Bolsonaro weg ist, aber im Alltag hat sich nicht so viel verändert. Die rechte Mehrheit im Parlament blockiert alles, was indigene Rechte und Umweltschutz betrifft. Es gibt jetzt zwar ein indigenes Ministerium und die Vorsitzende der indigenen Schutzbehörde ist eine sehr kompetente und anerkannte Indigene, aber sowohl das Ministerium, als auch die Behörde haben zu wenig Kompetenzen und die materielle Ausstattung ist völlig unzureichend.

Bei den Wajapi sind leider weiter fundamentalistische Evangelikale aktiv und auch erfolgreich, weil sie über schier unendliche finanzielle Mittel verfügen. Ein großes Problem ist immer noch die Situation der Schulen im Reservat. Während der Pandemie gab es keinen Unterricht, Schulgebäude wurden nicht gepflegt und bis jetzt ist dieser Zustand nicht wirklich korrigiert. Es fehlen Lehrer, geeignete Schulgebäude und Ausstattung und Lehrmaterialien. Im Gesundheitsbereich herrscht weiterhin großer Mangel. Nachdem mit Unterstützung von POEMA das Thema Frauengesundheit in den letzten beiden Jahren aufgegriffen wurde und bei allen Frauen nach etlichen Krebserkrankungen erstmalig Abstriche vom Muttermund gemacht wurden, kämpfen die Frauen jetzt um Folgeuntersuchungen, obwohl dies auch hier in Brasilien Gesetz ist. Wir sind gespannt, was uns alles im Reservat erwartet. Angekündigt ist, dass wir an einer Ayahuashca-Zeremonie teilnehmen können.

Aramira 8.5. 2024

Wir sind jetzt schon seit vier Tagen im Reservat der Wajapi. Samstag und Sonntag waren wir im sogenannten Ausbildungszentrum der Wajapi in Aramira. Wir wurden von vielen alten Bekannten begrüßt. Zu unserer großen Freude ist Ayuareaty hier. Sie war vor etlichen Jahre bei uns in Deutschland, und wir erinnern uns an die Zeit mit ihr an vielen Veranstaltungen, die sie mit ihrer Art zu erzählen, belebt hat. Besonders in Erinnerung ist uns eine Veranstaltung im Tübinger Frauenprojektezentrum, wo sie über Schwangerschaft und Geburt bei den Wajapi berichtet und trotz der Sprachbarrieren einen tiefen Eindruck hinterlassen hat. Sie lädt uns gleich für den nächsten Tag ein, ihr Haus und ihr Feld zu besuchen. Das Ausbildungszentrum besteht im Wesentlichen aus einem großen überdachten Raum. In der Mitte ist der Versammlungsraum, der zu beiden Seiten offen ist. Im hinteren Teil übernachten die Indigenen in Hängematten, im vorderen ist die Küche, ein Materialraum, Toiletten (2!), ein kleines Badezimmer und ein kleiner offener Raum für vier Hängematten, wo auch wir schlafen.

Das Zentrum wird mit Solarenergie versorgt und hat einen Brunnen. Es gibt hier Internet, was von den Wajapi reichlich genutzt wird. Ein paar hundert Meter weiter ist eine Schule und ein Gesundheitsposten mit Personal der Gesundheitsbehörde. Allerdings beklagen die Wajapi, dass die Ausstattung völlig unzureichend sei und sie dort oft nur unzureichend oder gar nicht behandelt werden. Von Samstag an wurde hier von einem kleineren Kreis das Treffen der Frauen vorbereitet. Am Sonntag Morgen werden wir von Ayuareaty abgeholt. Es ist nicht weit bis zu ihrem Haus, trotzdem sind wir schon schweißgebadet, als wir ankommen. Unterwegs treffen wir Jawapuku, er war mal Präsident bei APINA, einer der Selbstorganisationen der Wajapi. Er freut sich, das POEMA die Wajapi immer noch unterstützt.

Ayuareaty führt uns durch ihr Feld. Sie baut viele verschiedene Früchte und Gemüsesorten an. Am wichtigsten sind Manjok und Makaxera, das sind quasi die Grundnahrungsmittel, aber es gibt auch Assai, Mais, Bananen, Papaya, Cupuacu, Avocados und vieles mehr. Ihr Mann Marate war trotz Impfung an Covid erkrankt und leidet immer noch an Erschöpfung und Müdigkeit. In den Gesprächen mit Juliana und Luzia von unserer Partnerorganisation ist leider viel die Rede davon was, trotz des Regierungswechsels, nicht funktioniert. Neben den Defiziten in der Gesundheitsversorgung, die wir noch reichlich erleben, ist es vor allem das Thema Bildung. Zur Zeit sind rund 300 Wajapi in Macapa um Schulabschlüsse und sonstige Ausbildungen zu erreichen. Das ist mit viel Elend verbunden, weil sie in der Stadt Diskriminierung und Gewalt erfahren. Sie leben dort oft unter prekären Umständen, die Ernährung ist schlecht und nicht selten hungern sie, weil sie nur wenig Geld haben. Das sind auch Themen, die auf der Frauenversammlung, die von POEMA finanziert wird, diskutiert werden und zu denen entsprechende Forderungen aufgestellt werden sollen.

Wir sind dann am Montag mit dem Boot ins Dorf Kumakawyry aufgebrochen. Von Aramira ist es nicht weit, vielleicht eine starke halbe Stunde. Und obwohl Aramira auch schon mitten im Regenwald ist, haben wir das Gefühl in eine andere Welt zu gelangen. Am Ort leben nur drei oder vier Familien, in der nähren Umgebung sind es 15. Auf der Fahrt wurden wir schon von Ripe und Pakita, dem älteren Paar in deren Hütte wir übernachten dürfen, begleitet. Sie haben die Hütte für uns geräumt und übernachten solange bei ihren Kindern eine Hütte weiter. Bis wir Hängematten und Moskitonetze aufgehängt haben geht schon der erste Regen nieder und wir sind froh, dass unser Dach dicht ist. Für uns wird Feuer gemacht und wir trinken den ersten Cafe zusammen, tauschen die Name aus, die wir aufschreiben müssen, sonst vergessen wir sie, so fremd sind sie uns. In der Regenpause gehen wir uns am Flüsschen waschen, das Wasser ist wunderbar kühl und klar. Kumakawyry liegt etwas auf einem Hügel, was den Vorteil hat, das öfters ein kühlender Wind geht. Bei der Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit schwitzt man schon ohne auch nur den kleinen Finger zu rühren. Bis in die Dunkelheit tauschen wir uns mit Pakita und Ripe und ihren Söhnen über ihr Leben hier aus. Sie fragen uns immer wieder ob es dies und jenes auch in Deutschland gibt.

Sie leben hier sehr bescheiden von dem was ihnen ihr Land und die Flüsse bieten. Das ist nicht wenig, muss aber teilweise hart erarbeitet werden. Die Nächte im Wald sind immer etwas besonderes, allein schon wegen der Geräusche. Um 18:30 ist es dunkel und in den Hütten werden Feuer entzündet. Wir sind schon gegen 19:30 in den Hängematten und genießen die Geräusche des Waldes. Der Morgen beginnt wieder mit Feuermachen und „tomar banho“, also ein Bad nehmen im Fluss. Zwischen zwei Regengüssen erhalten wir auch hier eine ausführliche Führung durch Pakitas Feld. Die Bepflanzung ist ähnlich wie bei Ayuareaty. In einer kleinen Hütte steht ein Webstuhl auf dem Pakita eine traditionelle Hängematte webt. Es ist ihr wichtig, dass ihre Töchter und ihre Enkel dies Technik auch lernen. Es regnet viel und so verbringen wir die Zeit im Gespräch und in der Hängematte. Dann entdecken sie unsere medizinischen Ressourcen und wir müssen Kinder, die vom Baum gefallen sind, Fieberherpes haben behandeln, Ripe hat eine entzündete Bauchnarbe von mehreren OPs nach einem Darmverschluss und Pakita hat Herzprobleme. Dabei erfahren wir, dass sie bei vielen Geburt geholfen hat und sogar eine Steißlage durch regelmäßige Massagen erfolgreich wenden konnte.

Heute Morgen sind wir nach Aramira zurückgekehrt, weil das Frauentreffen begonnen hat. Wir treffen viele Bekannte aus Dörfern, die wir in den letzten Jahren besucht haben. Und wieder ist Brunhild gefragt wegen diverser Frauenleiden. Piriba aus dem Dorf von Matapi hat seit drei Jahren kein Gefühl mehr in der rechten Körperseite, eine andere hat eine Fissur. Es gibt Rückenschmerzen und Verdacht auf Rheuma oder Arthrose. Und immer begleitet von der Klage, dass sie wenig Hilfe erhalten. Mittlerweile hat das erste Frauenplenum stattgefunden, jetzt folgt eineSequenz mit Arbeitsgruppen zu Themen wie Frauen stärken, Heirat mit nicht Wajapi, Drogen und Alkohol, Anbau und Ernährung, Migration in die Stadt. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse und mögliche Forderungen der Wajapi-Frauen.

Aramira 10.5. 2024

Heute geht das Treffen der Wajapi-Frauen zu Ende. Drei Tage lang diskutierten über sechzig Frauen über ihre Situation und die Probleme und mögliche Lösungen hier im Reservat. Es ist beeindruckend wie sich die Frauen hier einbringen, was noch vor wenigen Jahren nicht vorstellbar war. Diese Veränderung in der Kultur der Wajapi begann mit der Pandemie und bezog sich am Anfang vor allem auf die unzureichende Gesundheitsversorgung der Frauen. POEMA hatte deshalb in den letzten Jahren etliche Workshops zum Thema Frauengesundheit finanziert. Eine hohe Priorität hat auch das Thema Alkoholmissbrauch und damit verbunden auch das Thema Gewalt gegen Frauen. Auch dazu hat POEMA mehrere Fortbildungen finanziert.

Das ist wie auch bei uns ein heikles, tabubeladenes Thema. Ein FUNAI-Vertreter, die „neue“ FUNAI nahm auch mit einer Delegation und der regionalen Chefin, Precila, eine indigene Caripuna, am Frauentreffen teil, schlug den Frauen vor, entsprechende Gewaltübergriffe anzuzeigen. Das stieß auf wenig Zustimmung, und ist vor dem kulturellen Hintergrund der Wajapi kaum praktikabel. Schon der Schritt, dass darüber gesprochen wird, ist ein großer, und es ist gut, dass das hier offen angesprochen wird. Das Alkoholproblem entsteht durch den zunehmenden Kontakt mit der „weißen Welt“ und dadurch, dass mehr Geld ins Reservat kommt. Die meisten Familien erhalten die „bolsa familia“, rund 350 € im Monat.

Es fehlt oft die Eigenverantwortlichkeit für einen guten Umgang mit dem Geld und mit dem Alkohol. Das Problem zum Thema zu machen stärkt die Frauen und solidarisches Vorgehen könnte eher zu einer Veränderung führen. Es wurden aber viele andere Themen bearbeitet, Umgang mit Müll, Erstellen von kunsthandwerklichen Gegenständen, traditionelle Bekleidung aus Baumwolle, Weben, Sicherung guter Ernährung, Heirat mit anderen Ethnien und einiges mehr. Im Zusammenhang mit der Ernährung gibt es leider eine extreme Zunahme von Diabetes-Erkrankungen, die leider auch auf die vermehrte Ernährung mit industrialisierten Lebensmittel und den extremen Konsum von Zucker und zuckerhaltigen Lebensmitteln zurückzuführen ist. Hier bedarf es dringend intensiver Prävention. Und dann taucht plötzlich aus dem Nichts unser alter Freund Wai Wai auf.

Er ist sicher über 80 Jahre alt. Viele werden sich an seinen beeindruckenden Besuch in Deutschland vor etlichen Jahren erinnern. Er hatte damals mit Hand und Fuß erzählt, wie er die Goldsucher aus ihrem Land vertrieben hat. Seine Haare sind weiß geworden, aber er ist fit und verströmt Lebensfreude und Zuversicht. Er arbeitet immer noch auf dem Feld, macht öfter Pause, aber es geht ihm gut, so erzählt er. Mit Kamoju und Marinau, den Koordinatoren von AWATAC, der „politischen“ Organisation besprechen wir, welche Aktivitäten im nächsten Jahr sinnvoll und möglich sind. Die Schwerpunkte werden weiter auf Frauengesundheit und dem Thema Gewalt und Alkoholmissbrauch liegen. Sie werden das aber mit den Kaziken diskutieren und uns dann einen Vorschlag machen. Morgen geht es auf unsere letzte Etappe dieser Reise nach Pairakai, ins Dorf von Cumare und zum Ayahuashca-Ritual.

Aramira 14.5. 2024

Unsere Abreise nach Pairakai hat sich um einen Tag verzögert, weil sich Brunhild in der Nacht am Auge verletzt hatte. Nachdem es sich glücklicherweise als nicht so schlimm herausgestellt hat fuhren wir mit Marinau, Roseny ihr Mann und einem ihrer 8 Söhne los. Vier Cacheiras gibt es auf dem Weg, das heisst vier Mal raus aus dem Boot, einmal das Boot über Land ziehen, drei Mal zogen es die WAJAPI die Stromschnellen hoch.

Dann kamen wir an und waren gleich bei einer Zeremonie, bei der einige Wajapi das Pulver, vorzustellen wie eine Art Tabak, in die Nase geblasen bekamen. Piriba, die wir noch aus Matapis Dorf kennen war auch dabei und sie lag augenblicklich am Boden, wohl betreut von Helfern. Es gibt eine eigene Hütte für die Zeremonie, davor wird in einem riesigen Bottich die Liane ausgekocht. Frauen und Männer sind dabei diese zu schälen und fasrig zu klopfen, bevor sie im Topf landen. Es gibt eine ausführliche Anleitung für die Zeremonie und den Weg mit Ayahuasca. Der Paje aus Acre vom Stamm der Yawanawa ist noch vergleichsweise jung, macht aber durch sein ruhiges Auftreten einen sehr kompetenten Eindruck. Wer am Abend an der Zermonie teilnehmen will darf nichts mehr essen und man muss bis zum Schluß in der Gruppe bleiben, ruhig sein und die anderen möglichst nicht stören. Wir sehen hier viele Bekannte aus verschiedenen Dörfern, auch Ripe und Pakita aus Kumakawyry sind da und nehmen teil.

Gegen sieben Uhr, es ist schon richtig dunkel, beginnt das Ritual. Die Hütte ist maximal voll, etliche steh und sitzen davor. Es gibt noch einmal Anweisungen, dann erhalten alle der Reihe nach o li, den Ayahuascatrank. Die erste Wirkung ist sehr stark und begleitet von großer Übelkeit, und reihum übergeben sich die meisten. Da die Hütte nach außen offen ist, ist das erst mal kein großes Problem. Manche kämpfen länger mit der Übelkeit und dem Verlust der Kontrolle über den Körper. Dann kommt auf unterschiedliche sehr individuelle Weise die Phase mit Träumen, Visionen und Ähnlichem. Viele liegen mittlerweile am Boden und sind mit sich beschäftigt. Begleitet wird diese Periode mit Gesängen und einer langen Erzählung über die Entstehung der Welt, der Pflanzen und Tiere und der Menschen. Das ganze dauert über fünf Stunden. Danach gibt es für die, die es wollen eine zweite Runde. Wir sind froh uns in die Hängematten zurückziehen zu können.

Wir ruhen uns bis in die Mitte des nächsten Tages aus, wie die meisten der Wajapi. Nachmittags werden Erfahrungen ausgetauscht und es gibt weiter Unterweisungen. Das ganze Ritual geht noch drei weitere Tage und wir bedauern sehr, dass wir nicht bis zum Ende teilnehmen können. Heute, als wir schon am Aufbrechen waren, sind alle im Wald unterwegs um Heilpflanzen zu sammeln. Alle Wajapi, die hier teilnehmen, sind von dieser Zeremonie mit Ayahuasca sehr beeindruck und wollen diesen Weg der Medizin des Waldes weitergehen. Sie sehen eine enge Verbindung mit ihren Traditionen und sie wollen lernen das in ihr Leben zu integrieren. In jedem Fall hilft es den Einfluss der Evangelikalen Missionare zurückzudrängen. Wir wurden noch mit einem heftigen Regen während der Rückfahrt beglückt und kamen gut in Aramira an. Morgen gehts zurück nach Macapa und am Donnerstag fliegen wir über Belem, Lisboa nach Deutschland.

Macapa 15.5. 2024

Bevor wir heute morgen in Aramira gestartet sind begann das Treffen der Wajapi-Jugend. Über 70 junge Wajapi diskutieren die nächsten vier Tage über Themen, die ihre Zukunft betreffen. Wie kann ihre Ausbildung gesichert werden? Wie soll ihr Zusammenleben möglichst selbstbestimmt im Reservat aussehen. Wie kann ihre indigene Identität in der Konfrontation mit der „weißen Welt“ unter Berücksichtigung ihrer Tradition gesichert werden? Welche neuen Wege sind zu begehen? Fragen, denen sich die Wajapi-Jugend stellen muss, ähnlich, wie beim Treffen der Wajapi-Frauen.

Zu Beginn stellten sich die TeilnehmerInnen dorfweise einzeln vor, manche etwas scheu, andere ganz selbstbewußt, aber jeder und jede kam zu Wort. Bevor die inhaltliche Arbeit begann wurde noch ganz banal festgelegt, wer jeweils tageweise für die Sauberkeit im Zentrum verantwortlich ist. Es war beeindruckend mit welcher Energie und Achtsamkeit die jungen Wajapi sich engagieren. Das macht Hoffnung, genauso wie das Engagement der Frauen. Trotz all der Probleme und Schwierigkeiten, die zweifelsohne existieren, verlassen wir das Reservat mit einem guten Gefühl. Es tut sich was, es gibt wie einen Aufbruch, der Mut macht.